von Barbara Windschall, Psychologische Psychotherapeutin, Frankenalb-Klinik Engelthal
Angst stellt ein unvermeidbares, grundlegend normales und notwendiges, ja überlebensnotwendiges Gefühl dar, das bei jedem Menschen ebenso wie Wut, Freude oder Trauer auftritt. In der Regel werden Situationen, die in irgendeiner Weise ungewiss, unkontrollierbar und damit bedrohlich für uns sein könnten, von einem Gefühl der Angst begleitet, wobei die Bedrohung körperlicher (Krankheit, Tod) ebenso wie sozialer Natur (Zurückweisung, Beschämung) sein kann.
Angst dient dazu, uns auf diese Herausforderungen vorzubereiten und uns vor Gefahren zu schützen. Daher ist das Erleben von Angst, wenngleich diese aufgrund der in der Regel mit ihr einhergehenden physiologischen Veränderungen (wie z. B. Herzklopfen, Muskelanspannung, Schwitzen) unangenehm wahrgenommen wird, nicht gefährlich, sondern kann vielmehr sogar sehr hilfreich sein. So zeigen Forschungen, dass ein mittleres Ausmaß an Angst und Anspannung die Leistungsfähigkeit (z. B. in Prüfungssituationen) fördert. Im Falle realer Bedrohungen erfüllt die Angst eine Warnfunktion derart, dass wir schnell reagieren können, indem wir entweder fliehen oder Kräfte mobilisieren, um zu kämpfen und uns der Gefahr zu stellen. Während der Entwicklungsgeschichte der Menschheit, als unsere Vorverfahren noch in freier Natur lebten, stellte die Angst somit eine Alarmreaktion von hohem Überlebenswert dar. Auch heute noch führt die automatische, ja unbewusste und schnelle Angstreaktion dazu, dass wir beispielsweise, wenn beim Überqueren der Straße ein Fahrzeug unerwartet und ungebremst auf uns zukommt, schnell auszuweichen versuchen. Somit kommt der Angst auch heute noch eine überlebenssichernde Funktion zu.
Die Entwicklungspsychologie lehrt uns, dass sich Ängste bei Kindern reifungsabhängig entwickeln, d.h., der Erwerb einer neuen sinnesphysiologischen (z. B. Gesichdifferenzieren), motorischen wie das Krabbeln oder Laufenlernen, kreativen (Phantasiebildung) oder kognitiven (ein Verständnis vom Tod und der Endlichkeit des eigenen und des Lebens naher Bezugspersonen entwickeln) Fertigkeit ist mit der vorübergehenden Ausbildung einer spezifischen Angst verbunden. Diese Angst stellt eine sinnvolle Anpassungsreaktion an eine neue Situation, der wir noch nicht gewachsen sind, dar. Allgemein bekannt ist in diesem Zusammenhang das sogenannte „Fremdeln“ bei etwa acht Monate alten Kindern, welches auf die Weiterentwicklung der optischen Wahrnehmung zurückzuführen ist. Das Baby kann nun Gesichter differenzieren und deshalb die vertrauten Gesichter der Eltern von fremden unterscheiden. Das zweite Lebensjahr nun ist häufig von Trennungsängsten gekennzeichnet, die auftreten, wenn die vertraute Bezugsperson aus dem Gesichtsfeld verschwindet. Diese Ängste fungieren, bei wachsenden motorischen Fertigkeiten, auch als Schutz, sich nicht zu weit aus dem bekannten Umfeld wegzubewegen. Die für die Kindergartenzeit und das Vorschulalter phasentypischen Ängste vor Gespenstern, Hexen oder Einbrechern setzen die Herausbildung der Fähigkeit zur Phantasie voraus. Ausgelöst durch den Tod eines Haustieres oder eines Angehörigen wird im Grundschulalter, begleitet vom wachsenden Wissen um die Unwiderruflichkeit des Todes, die Angst vor dem eigenen Sterben angestoßen. In dieser Zeit werden in der Gleichaltrigengruppe zunehmend auch soziale Ängste vor Bewertung, vor Ablehnung und Ausstoßung durch andere bedeutsam.
Die skizzierten phasentypischen Ängste haben zumeist Übergangscharakter. Einfühlsame Bezugspersonen, die unterstützend zu Seite stehen, so dass Angst wahrgenommen, ausgehalten und letztlich bewältigt werden kann, stärken die Fähigkeit des Kindes, ein angemessenes Maß zwischen Vorsicht einerseits und Selbständigkeit und Wagemut andererseits zu finden.
Belastend und krankmachend sind Ängste dann, wenn sie zu lange andauern (ein 16-jähriger hat weiterhin quälende Ängste vor Gespenstern), in ihrer Intensität ein erträgliches Maß übersteigen (z. B. massive psychovegetative Reaktion mit Übelkeit, Herzrasen, Schwindel, im Rahmen eines Panikanfalls) und/oder der Situation nicht angemessen erscheinen (z. B. im Kaufhaus, im Restaurant …).
Treten Ängste in einem Alter auf, in welchem noch nicht hinreichend Abwehrkräfte entwickelt werden konnten, oder übersteigt die Angstintensität das Ausmaß des Erträglichen, dann besteht die Gefahr von Entwicklungshemmungen oder des Rückschreitens auf eine frühere Entwicklungsstufe, einhergehend mit kindlichen Erlebens- und Verhaltensweisen, so z. B. ein älteres Kind, das nach einem Angsterlebnis wieder einnässt, oder eine erwachsene Frau, die nach einem erlebten Gewalttrauma nicht mehr alleine aus dem Haus geht.
Man kann davon ausgehen, dass etwa 20 Prozent aller Menschen schon einmal im Verlauf ihres Lebens unter überwertigen Ängsten gelitten haben. Scham darüber, aber auch Unwissen und mangelnde Kenntnis, die oftmals quälenden körperlichen Symptome als Ausdruck eines seelischen Geschehens interpretieren zu können, führen dazu, dass die Betroffenen sich erst dann in psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung begeben, wenn schwerwiegende Komplikationen auftreten. Das mit der Angst einhergehende und diese aufrechterhaltende Vermeidungsverhalten bezüglich angstauslösender Situationen und Personen bedingt längerfristig eine Minderung der Arbeits- und Beziehungsfähigkeit bis hin zum kompletten sozialen Rückzug sowie sekundär auch ungünstige Problembewältigungsstrategien wie den Missbrauch von angstlindernden Substanzen, so vornehmlich von Beruhigungsmitteln (z. B. Benzodiazepinen) oder von Alkohol im Sinne einer Selbstmedikation. Zudem besteht bei nicht behandelten Ängsten die Gefahr einer Generalisierung. Diese meint eine Ausweitung auf andere Situationen derart, dass beispielsweise ein Mann, der lange Zeit aus Angst die U-Bahn gemieden hat, nach einiger Zeit auch bei der Nutzung anderer öffentlicher Verkehrsmittel und zu guter Letzt vielleicht auch im eigenen Auto unerträgliche Ängste entwickelt und somit seinen Bewegungsradius mehr und mehr einschränkt.
Bezüglich der klinisch bedeutsamen Ängste sind vor allem die Panikstörung, die Agoraphobie, die generalisierte Angststörung sowie die soziale Phobie zu nennen.
Eine Panikstörung ist durch das Auftreten von Panikanfällen gekennzeichnet. Diese meinen ein plötzliches und zeitlich umgrenztes Auftreten von Angst, einhergehend mit starken körperlichen Symptomen wie Herzrasen, Übelkeit, Schwindel, Zittern und Schwitzen. Da diese mit der Angst verbundenen Körpersymptome als bedrohlich erlebt werden, z. B. als Hinweis auf einen bevorstehenden Herzinfarkt, versuchen die Betroffenen Situationen oder Körperempfindungen, die mit den Angstanfällen in Verbindung gebracht werden, zu vermeiden. Diese biologischen Abläufe stellen eine natürliche Reaktion des Körpers auf eine wahrgenommene Bedrohung dar, indem die für eine Fluchtreaktion wichtigsten Organe (Muskeln, Herz, Lungen) mehr durchblutet sind, während sich andere Organe (Gehirn, Magen) im Sparmodus befinden. Das bedeutet, dass unser Körper unbewusst noch immer so reagiert, als müssten wir permanent Revierkämpfe durchführen; ein Mechanismus, der sich in unserer modernen Welt oftmals als hinderlich erweist. Eine Panikstörung nun wird dann diagnostiziert, wenn der Betroffene wiederholt Panikattacken erlebt und sich nach einem Angstanfall für mindestens einen Monat Sorgen über ein mögliches Wiederauftreten der Panikanfälle und über deren Konsequenzen macht und aufgrund der quälenden Angst maßgebliche Lebensveränderungen vorgenommen hat. Panikattacken sind ein wichtiges Kennzeichen der Panikstörung, treten jedoch auch bei vielen anderen psychischen Erkrankungen auf, dann jedoch meist situationsgebunden.
Die Agoraphobie (abgeleitet von agora = Marktplatz, Versammlungsplatz) kennzeichnet das Vermeiden von Situationen, in denen eine Flucht schwierig oder Hilfe nicht verfügbar ist. Der Name erscheint irreführend, da die Ängste nicht auf öffentliche Plätze beschränkt sein müssen, sondern in einer Vielzahl verschiedener Situationen auftreten können (z. B. Arztbesuche, Auto, Zug, Bus oder Straßenbahn fahren, fliegen, Schlange stehen; enge Menschenmengen, Geschäfte, weit weg von zu Hause sein, Theater, Kirche oder Kino). Meistens entwickelt sich die Agoraphobie, nachdem Betroffenen eine oder mehrere Panikattacken erlitten haben (Agoraphobie mit Panikstörung). Die Folge ist das Vermeiden dieser mit Angst assoziierten Situationen.
Die Generalisierte Angststörung nun ist durch übermäßige, anhaltende und kaum kontrollierbare Ängste und Vorahnungen, die aber nicht auf bestimmte Situationen in der Umgebung beschränkt sind, gekennzeichnet. Im Mittelpunkt stehen häufig Ängste, selbst zu erkranken oder zu verunfallen, oder dass Angehörige demnächst erkranken oder verunglücken könnten so-wie die permanente Befürchtung einer nahenden Katstrophe. Diese Ängste bestehen über einen längeren Zeitraum, zumeist über mehrere Monate, und werden von einer Reihe psychischer und körperlicher Symptome begleitet (z.B. Konzentrationsstörungen, motorische Anspannung, Ruhelosigkeit, Unruhe, Spannungskopfschmerz, Magen-Darm-Beschwerden).
Charakteristisch für die Soziale Phobie, die oftmals fälschlicherweise als extreme Schüchternheit bagatellisiert wird, ist eine massive, irrationale Angst vor dem Kontakt zu Menschen und insbesondere vor Situationen, in denen man prüfend beobachtet, kritisch bewertet oder negativ beurteilt werden könnte.
Auch im Rahmen anderer seelischer Erkrankungen spielen Ängste eine nicht unerhebliche Rolle. So ist die Depression durch irrational anmutende Ängste zu verarmen, sich schuldig durch Taten oder Unterlassungen gemacht zu haben sowie durch Nichtigkeitsängste gekennzeichnet. Nach dem Erleiden von traumatischen Ereignissen treten im Rahmen einer Posttraumatischen Belastungsstörung eine übermäßige Wachsamkeit und übertriebene Schreckreaktionen auf. Zudem findet ein bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen, sowie von Orten, Aktivitäten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen, statt. In einer spezifischen Angstbehandlung soll das psychosomatische Krankheitsverständnis durch bessere Kenntnis eigener Körpervorgänge gestärkt werden. Des Weiteren sollen krankheitsaufrechterhaltende (dysfunktionale) gedankliche Prozesse (Ich leide an einem Herzinfarkt, an einer lebensbedrohlichen Erkrankung.) identifiziert, gedankliche Neubewertungen (Ich bin so aufgeregt, dass mein Herz rast.) ermöglicht und Auslösebedingungen analysiert werden. Die Wahrnehmung von Emotionen soll gefördert, eine bessere Regulation im Falle überwältigender Gefühle durch das Erlernen von Techniken z. B. zur Atemregulation ermöglicht werden. Ein zentrales Ziel ist es des Weiteren, Betroffene zu ermutigen, teilweise langjähriges Vermeidungsverhalten schrittweise aufzugeben und dabei auftretende Angstgefühle und Körpersymptome als eine verstärkte, aber normale Stressreaktionen tolerieren zu lernen.
Weitere Informationen über Angststörungen und die Behandlungsmöglichkeiten in den Bezirkskliniken Mittelfranken finden Sie im Bereich Diagnosen.