Wie kleine Spiralen liegen feine Hobelspäne auf dem Boden. Hobel und Meterstab hängen an der Wand neben der Werkbank und es riecht es nach frisch geölten Holzplatten, die darauf warten ein Tisch, ein Regal oder eine Bank zu werden. Daniel N.* lässt seinen Blick durch den Raum schweifen. Hier hat er die letzten drei Jahre verbracht und erfolgreich seine Ausbildung zum Schreiner absolviert. Seinen Gesellenbrief hält er nun stolz in der Hand, vielversprechende Bewerbungen laufen. Doch die Werkstatt, in der Daniel steht, ist nicht die eines Handwerksbetriebes aus der Region. Er hat seine Lehre während seiner Zeit als Patient in der forensischen Psychiatrie am Bezirksklinikum Ansbach absolviert.
„Viele unserer Patienten stehen nach der Entlassung ohne gelernten Beruf da. Sie hangeln sich von Job zu Job. Das frustriert und demotiviert. Unser Ziel ist es, praktische Fähigkeiten zu vermitteln und durch die Ausbildung als Schreiner nach dem Aufenthalt bei uns einen besseren Start in die Arbeitswelt zu ermöglichen“, erklärt Stefan Breiter, selbst Schreinermeister und einer der Initiatoren des Projekts. Bereits 2016 entwickelte sich die Idee, eine anerkannte Berufsausbildung direkt im Haus anzubieten. Udo Meißner, Leiter der forensischen Komplementär-Therapie, erarbeitete zusammen mit den Kollegen Armin Wagner, Stefan Breiter und Mirco Humbert ein genaues Konzept, wie innerhalb der forensischen Psychiatrie ausgebildet werden kann. Dies geschah in enger Absprache mit der Handwerkskammer und der Schreinerei-Innung. Dabei berücksichtigt werden mussten beispielsweise die verschiedenen Stadien der Therapie mit ihren unterschiedlichen Freiheitsgraden.
In der forensischen Klinik in Ansbach werden Menschen untergebracht, die unter maßgeblichem Einfluss einer psychischen Erkrankung oder im Rausch eine Straftat begangen haben. Die Patientinnen und Patienten werden von einem multiprofessionellen Team, u.a. bestehend aus Ärzten, Psychologen, Sozialpädagogen, Pflegekräften und Fach-Therapeuten begleitet und, sobald es Krankheitsbild und Risikoabschätzung zulassen, auf eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorbereitet.
Daniel N. brach vor seiner Unterbringung im Maßregelvollzug eine andere Ausbildung ab. Im Rahmen der sogenannten Arbeitstherapie hatte er zum ersten Mal Berührungspunkte mit dem Werkstoff Holz. „Die Arbeit mit verschiedenen Holzarten hat mir sehr gefallen. Daher habe ich mich für die Ausbildung entschieden und würde dies jederzeit wieder tun. Hier habe ich gelernt etwas durchzuziehen und bin darauf stolz“, erklärt Daniel weiter. Die Arbeitstherapie ist ein wichtiger Bestandteil der Therapie innerhalb der forensischen Psychiatrie. Dabei geht es nicht nur darum, praktische Fähigkeiten zu erlernen, sondern ein neues Verständnis für Motivation und Selbstwert zu bekommen. Stefan Breiter weiß, dass hier eine wichtige Basis gelegt wird: „Wir kennen durch die Therapie die Patienten bereits sehr gut und erkennen so auch, wer sich für eine Ausbildung eignen würde. Die Chance zu haben, während des Aufenthalts einen Beruf zu erlernen, ist ein unfassbar großer Schatz“.
Im Rahmen seiner Schreiner-Lehre lernte Daniel N. alles, was er unter normalen Umständen auch in einem Handwerksbetrieb lernen würde. Rund 95 Prozent der Ausbildungsinhalte werden direkt vor Ort vermittelt. „Wir bilden, wie jeder Betrieb, nach Ausbildungsordnung der Handwerkskammer aus. Die Möglichkeit steht jedem forensischen Patienten offen – natürlich abhängig davon, ob es die Art und die Schwere der Erkrankung zulassen“, so Breiter. Die Auszubildenden können während ihrer Therapiezeit eine Lehre beginnen oder auch fortsetzen, falls sie diese bereits vor ihrer Einweisung begonnen haben. Gerade zu Beginn der Therapie in der forensischen Klinik stehen den Patienten noch keine Ausgänge oder Lockerungen zu. Daher wird die Berufsschule direkt in die Räumlichkeiten vor Ort verlegt. Für die theoretischen Inhalte steht ein eigener Schulungsraum mit PCs und entsprechender Software zur Verfügung.
Als Gesellenstück fertigte Daniel N. einen Tisch, die theoretische Prüfung legte er direkt bei der Handwerkskammer ab. „Mir war es wichtig, die Zeit hier zu nutzen und nach der Entlassung einen Beruf zu haben“, erklärt er. Derzeit schreibt er Bewerbungen und hat auch schon erste Zusagen erhalten. Udo Meißner weiß um die Relevanz der Ausbildung: „Dass wir eine Schreiner-Lehre anbieten können ist ein großes Plus für die Resozialisierung und die Zeit nach dem Aufenthalt hier“. Sein Kollege Mirco Humbert ergänzt: „Ich bin gut, ich kann das, ich habe das selbst gemacht – die Ausbildung ist viel mehr als nur ein Beruf. Sie ist ein Neustart. Gleichzeitig haben wir einen großen Vorteil: wir sind speziell geschult und können so auf individuelle Bedürfnisse mehr Rücksicht nehmen. Geht es einem Patienten heute nicht so gut, gehen wir darauf ein und machen morgen weiter. Dadurch, dass wir keine wartenden Kunden im Hintergrund haben, können wir die Ausbildung eng mit dem aktuellen Fortschritt der Therapie kombinieren“. Mit der Umsetzung dieser Möglichkeit nimmt die forensische Klinik in Ansbach eine Vorreiterrolle ein. Prof. Dr. Stübner, Maßregelvollzugsleitung, erklärt: „Für die Patientinnen und Patienten ist ein stabiles Lebensumfeld nach der Entlassung sehr wichtig – dazu zählt u.a. eine berufliche Tätigkeit. Eine abgeschlossene Berufsausbildung biete hierfür in der Regel viel bessere Voraussetzungen. Eine regelmäßige Tätigkeit ist für den Erhalt der psychischen Gesundheit wesentlich, zudem wirkt sie protektiv im Hinblick auf Straffälligkeit, sie ermöglicht finanzielle Unabhängigkeit und eine solide Existenz.“
*Name von der Redaktion geändert