Ansbach – Im Klinikalltag ist man oft mit schwierigen ethischen Fragen konfrontiert. Müssen alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft werden? Wie geht man mit Patientinnen und Patienten um, die sich selbst oder andere gefährden? Darf man Menschen auch gegen deren Willen behandeln? Die Bezirkskliniken Mittelfranken lassen Mitarbeitende, Patientinnen und Patienten, Angehörige und Betreuende bei schwierigen Entscheidungen wie diesen nicht allein – das Ethikforum berät bei ethischen Grenzfällen.
Ein fiktives Beispiel: Ein 82-jähriger Patient mit schwerem Hirnschaden befindet sich im Endstadium seiner Krankheit. Er kann nicht mehr selbst entscheiden, welche medizinischen Maßnahmen durchgeführt werden sollen, eine Patientenverfügung liegt nicht vor. Das behandelnde Team hält eine Fortsetzung der Therapie für nicht indiziert – eine Behandlung würde die Lebensqualität nicht verbessern, sondern nur das Sterben hinauszögern. Es rät daher zu einer palliativen Therapie, die nicht mehr auf Heilung abzielt, sondern die Symptome lindert. Die Tochter des Patienten sieht das anders. Sie fordert, die vollumfängliche Therapie fortzusetzen, unabhängig vom Zustand und der Lebensqualität des Patienten. Sie sagt, das wäre auch der Wunsch ihres Vaters gewesen.
Was ist richtig?
Diese Geschichte ist erfunden, könnte sich aber so ähnlich in einem Krankenhaus ereignen. Sie zeigt, in welche Dilemmata Ärztinnen und Ärzte geraten. Juristisch liegt die Entscheidung über die Absetzung einer Therapie klar bei den Medizinerinnen und Medizinern. Aber ist das Vorgehen auch ethisch richtig? Ist es, und das ist die wichtigste Frage, das, was der Patient sich gewünscht hätte, wenn er klar denken und kommunizieren könnte?
Das Ethikforum der Bezirkskliniken unterstützt das Behandlungsteam und Betroffene bei ethischen Konflikten wie diesen. Das Zentrum für Neurologie und neurologische Rehabilitation am Klinikum am Europakanal hat bei ähnlichen Fällen bereits den Rat des Forums eingeholt. Dazu treffen sich die Mitglieder des Forums mit dem behandelnden Team der Station, oft auch mit den betroffenen Patientinnen oder Patienten, manchmal kommen die Angehörigen und Betreuenden ebenfalls hinzu. In den Ethikbesprechungen wird der Fall systematisch analysiert. Dabei wird zuerst der ethische Konflikt formuliert. In dem fiktiven Fall mit dem 82-jährigen Patienten steht der ärztlichen Empfehlung der mutmaßliche Wunsch nach Maximaltherapie gegenüber. Mutmaßlich, weil der Patient nicht mehr selbst entscheiden und sprechen kann, sondern durch seine Tochter vertreten wird.
„Bei unseren Überlegungen fließen medizinische Informationen und die Wünsche der Patientin oder des Patienten, sofern diese bekannt sind, und gegebenenfalls auch die Hinweise der Angehörigen mit ein“, sagt PD Dr. Christine Kiphuth, kommissarische Chefärztin des Zentrums für Neurologie und neurologische Rehabilitation im Klinikum am Europakanal, und Mitglied des Ethikforums. „Zudem orientieren wir uns in den Beratungsgesprächen an den ethischen Prinzipien. Das Recht auf Selbstbestimmung wird oft als wichtigstes Kriterium angesehen, also die Frage, was die Patientin oder der Patient sich wünschen würde, wenn sie oder er selbst entscheiden könnte.“ Dazu kommen Aspekte der Schadensvermeidung und des Patientenwohls. Die Mitglieder des Ethikforums müssen abwägen, ob eine Therapie die Lebensqualität wirklich steigert oder nur den Schmerz verlängert.
Auf dieser Grundlage diskutieren die Mitglieder des Ethikforums den Fall und geben schließlich eine Handlungsempfehlung. „Das ist kein realitätsferner, moralischer Fingerzeig“, sagt PD Dr. Christine Kiphuth, „sondern eine praxisrelevante, ethische Empfehlung. Bindend ist diese nicht – das letzte Wort hat immer die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt. Als Ärztin weiß ich aber, wie hilfreich die ganzheitliche Betrachtungsweise und umfassende Analyse des Ethikforums für die eigene Entscheidungsfindung sein kann.“
Handeln zum Wohle der Patientin oder des Patienten
Das Ethikforum wurde 2022 ins Leben gerufen. Rund 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Bereichen und Ebenen der Bezirkskliniken arbeiten hier gleichberechtigt zusammen – Ärztinnen, Ärzte, Therapeutinnen, Therapeuten, Pflegekräfte, Seelsorgerinnen und Seelsorger. Jede und jeder der Teilnehmenden bringt einen individuellen Blickwinkel mit – daraus ergibt sich eine umfassende Betrachtungsweise. Für alle Mitglieder des Forums gilt die grundsätzliche Schweigepflicht – niemand ist einem Dritten gegenüber weisungsgebunden.
Bisher zählten Beratungen zu Einzelfällen und ethischen Konflikten zu den wichtigsten Aufgaben. Um den steigenden Anfragen gerecht zu werden, bietet die P3 Akademie, die Bildungseinrichtung der Bezirkskliniken Mittelfranken, qualifizierende Ausbildungen zur Ethikberaterin oder zum Ethikberater an – teilnehmen können Mitarbeitende der Bezirkskliniken Mittelfranken, aber auch interessierte Fachkräfte aus anderen Gesundheitseinrichtungen.
Mittel- bis langfristig besteht der Wunsch, auch organisationsethische Themen anzugehen. Dabei geht es darum, Mitarbeitende für ethische Problemstellungen zu sensibilisieren und ihre Urteilskompetenz zu erhöhen. Auf diese Weise soll eine Unternehmenskultur gefördert werden, die offen und konstruktiv mit ethischen Fragen umgeht. Eine Gelegenheit, das Ethikforum und seine Aufgaben kennenzulernen, haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Ethiktagen im Mai. Auch Fortbildungsangebote sind geplant, in denen sich Beschäftige zu ethischen Fragestellungen informieren können.
Dr. Matthias Keilen, Vorstand der Bezirkskliniken Mittelfranken, ist überzeugt: „Ethik ist nicht nur etwas für 15 Mitglieder im Ethikforum. Alle Mitarbeitenden in unserem Klinikverbund sollten sich mit damit befassen. Denn zu einer menschengerechten Versorgung gehört die Abwägung von Werten wie Würde und Selbstbestimmung. So können wir unsere Entscheidungen und unser Handeln besser an die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten anpassen. Damit ist Ethik auch ein wichtiger Beitrag zur Qualitätssicherung.“
Überdies prägt eine Sensibilität für ethische Fragen das Miteinander in einem Unternehmen wie den Bezirkskliniken Mittelfranken. „Unser Klinikverbund steht für allgemeingültige Werte wie Integrität, Offenheit, Respekt vor der Menschenwürde und Nichtdiskriminierung“, sagt Dr. Matthias Keilen. „Das hilft uns, verständnisvoll, einfühlsam und tolerant miteinander umzugehen. Dabei macht ethisches Bewusstsein nicht vor der eigenen Kliniktür halt. Es verpflichtet uns auch als Unternehmen zu nachhaltigem ökologischen und sozialen Handeln, um unseren Beitrag für die Umwelt und die Gesellschaft zu leisten.“