Seelische Gesundheit – im Gespräch

Thema: Psychose
 

Wir leben in unruhigen Zeiten, die vielen von uns auch Angst machen. Manchmal nehmen diese Ängste überhand und verändern den Menschen, die Seele erkrankt, der Mensch leidet an einer Psychose. Und genau darum geht es in unserem heutigen Podcast. Zu Gast ist Prof. Dr. Matthias Zink, er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Bezirksklinikum Ansbach. Ich grüße Sie. 
Prof. Dr. Zink: Guten Tag. 

Ja, das war jetzt viel Psycho. Und Psycho ist ja auch der Titel eines Hitchcock-Filmes, den wir alle kennen. Und jetzt gerade lief auch ein Tatort, „Psycholyse“. Die Psychose scheint uns Menschen zu fesseln. Warum ist das so?
Prof. Dr. Zink: Es kommen ganz große Faszinationen auf, wenn Menschen sich im Verhalten verändern. Und ich habe mich vor kurzem auch gefragt, warum der Hessi-sche Rundfunk auf die Idee kam, einen so abstrusen und schlechten Tatort zu senden.

War er schlecht?
Prof. Dr. Zink: Wir haben da auch im Nachhinein fachliche Beratung angeboten, auch die Angehörigenverbände, auch die Psychiatrie-Betroffenen haben sich da beschwert, denn in dieser Tatort-Sendung „Psycholyse“ werden schon sehr viele sehr ungünstige Narrative und stigmatisierende Klischees transportiert. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch ein Zeichen dafür, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk, die Tatort-Zuschauer gerne zugucken, wenn ihre eigenen Ängste, wenn absonderlich verändertes menschliches Verhalten auch im Fernsehen gezeigt werden.


Und auch die Literatur ist ja voll von psychiatrischen Syndromen. Ich denke da an E. T. A. Hoffmann, Franz Kafka, da spielt die kranke Seele auch eine große Rolle. 
Prof. Dr. Zink: Ja, ganz bestimmt. Und Georg Büchner hat mit dem „Lenz“ auch eine großartige Novelle geschrieben, die war, wenn ich so an meine Jugend und Startzeit des Lesens zurückdenke, auch durchaus ein Ansatzpunkt und eine Motivation für mich, mich mit diesem Phänomen psychische Krankheit, psychotische Störung, Psychose zu befassen. Das hat mich damals sehr gefesselt. 


Also das ging über die Literatur. Jetzt wollen wir aber von Ihnen wissen, was ist das eigentlich genau, eine Psychose, und wie unterscheidet sich die von Angst oder einer Angststörung?
Prof. Dr. Zink: In der Psychose leiden Menschen an zusätzlichen und neuen Erfahrungen. Sie bilden zum Beispiel Wahn aus, sind also überzeugt von Inhalten, die offensichtlich der Realität widersprechen, etwa dem Gedanken, durch die Wand über Mikrophone abgehört zu werden oder durchs Fenster oder durch elektronische Geräte überwacht zu werden, gefilmt zu werden. Also es kommen Gedanken in den Kopf, die natürlich Angst machen, die aber von den Betroffenen mit einer großen Überzeugtheit vertreten werden. Und da sind die Betroffenen auch nicht korrigierbar. So definieren wir das. Das ist ein Wahn, und der unterscheidet sich von Angst, die uns allen ja im Leben auch hilft, die uns vorsichtig macht, die uns an manchen Stellen auch die richtigen Entscheidungen treffen lässt oder die natürlich auch das Leben einschränken kann, wenn wir wegen Angst bestimmte Dinge vermeiden, ganz grundsätzlich dadurch, dass der Mensch, der an einer Psychose leidet, unkorrigierbar überzeugt ist von den Inhalten, die er denkt. Wohingegen jemand, der Angst hat, durchaus benennen kann, eigentlich wäre es gut für mich, wenn ich auf diesen hohen Turm hochsteigen könnte, da droht auch keine große Gefahr, aber ich habe eine solche Angst, dass ich es nicht tun kann, ich muss diesen hohen Turm vermeiden. Oder diese Aufnahme im Tonstudio eines Radiosenders könnte auch ganz große Angst machen, und man tut es dann nicht. Hätte ich eine Psychose, dann würde ich hierher nicht kommen, weil ich überzeugt bin, dass die ganze Welt mich abhört und verfolgt. 


So was haben wir in Coronazeiten ja auch erlebt, dass da Menschen aufgetaucht sind, die solche Wahnvorstellungen hatten, gerade wenn es um die Impfung ging. Ich erinnere mich da an Sätze wie: „In einem Jahr seid ihr nach den Impfungen alle tot.“ Geht das so in die Richtung Psychose?
Prof. Dr. Zink: Ja, die Pandemiezeit war sicher eine interessante Zeit, um die Psychopathologie unserer Gesellschaft zu beobachten. Es wurden da Inhalte vertreten, die ganz offensichtlich falsch waren, wissenschaftlich widerlegbar waren, die aber dennoch unkorrigierbar und mit großer Überzeugung vertreten wurden. Psychose-Patienten beziehen solche Stressoren oder solche Krisenzeiten auch oft in ihr Denken ein. Ich erinnere mich noch gut an 9/11, als dann viele Patienten überzeugt waren, sie seien schuld an dem Einsturz der Twin Towers. Es ist auch eindrücklich, dass die psychotischen Inhalte durchaus auch abhängig sind von dem Kulturkreis, in dem man aufwächst. In einem sehr radikal-religiös geprägten Umfeld von zum Beispiel kreationistischen oder evangelikalen gesellschaftlichen Strukturen findet man dann häufig psychotische Inhalte, die mit Schuldwahn zu tun haben. In Großstädten mit offensichtlicher Polizeipräsenz und Straßenkriminalität sind dann eher Verfolgungen vor der Mafia ein Psychose-Thema. Also der Inhalt, in dem wir leben, betrifft und alle, betrifft selbstverständlich auch die Menschen, die an einer Psychose leiden und bestimmt dann auch die Inhalte, von denen Psychose-Patienten sprechen. 


Wie entsteht denn eine Psychose? Kommt das ganz plötzlich? Oder schleicht die sich so ein?
Prof. Dr. Zink: Wir sollten uns alle wirklich vergegenwärtigen, dass wir alle eine Psychose oder psychotisches Erleben erfahren können. Eine Psychose ist eine sehr extreme Spielart dessen, was unser Gehirn kann. Es ist möglich, bei jedem Menschen unter unterschiedlichen Schwellen von Stressoren psychotisches Erleben auszulösen. Etwa 50 Prozent aller Menschen haben zum Beispiel schon mal ihren eigenen Namen gehört, haben sich umgedreht und dann war da niemand, oder haben kurz einen Geruch halluziniert, der offensichtlich nicht da ist, oder haben etwas gesehen, was andere dann nicht sehen. Also unser Gehirn ist fähig, Trugwahrnehmungen zu haben, auch gerade im Bereich der Wahrnehmungsstörungen. Und wenn die Neigung, wir sprechen von der Disposition oder von der Labilität eines Menschen, eine gewisse Schwelle unterschreitet und dann noch Stressfaktoren von außen dazukommen, wie zum Beispiel das Arbeiten in einem Schichtsystem, Schlafmangel, psychosozialer Stress, irgendwie Konsum oder toxische Einflüsse von Substanzen, dann wird die Schwelle zum psychotischen Erleben überschritten. 


Gibt es auch Erkrankungen, die eine Psychose auslösen oder mit sich bringen?
Prof. Dr. Zink: Das gibt es ganz eindeutig und ist so die Grundlage dafür, dass wir allen Menschen raten, wenn sie an sich selbst oder an anderen Symptome, die den Verdacht auf Psychose auslösen, wahrnehmen, dann auch ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Denn es kann durchaus andere Erkrankungen geben, die dahinterstecken und die man eben durch gewisse Hausaufgaben an differenzialdiagnostischen Untersuchungen ausschließen sollte. Stoffwechselerkrankungen, vor allem dann aber auch Gehirnerkrankungen wie Entzündungen des Gehirns müssen da mit angeführt werden. Alle Patienten, die zu mir in die Klinik kommen, bekommen das Angebot, dass wir ein ganz genaues Bild vom Gehirn machen, eine Kernspintomographie. Wir raten auch immer dazu, bei einer Psychose eine Nervenwasseruntersuchung zu machen, eine sogenannte Lumbalpunktion. All das dient dazu, um seltene andere Erkrankungen auszuschließen, die auch zu einer Psychose führen können. Und so grob gesagt, würde man annehmen, dass bei etwa zehn Prozent aller Menschen, die mit einer Psychose erkranken, eine andere Erkrankung vorliegt, die man auch anders behandeln muss. 


Sie haben gerade die Symptome erwähnt. Vielleicht fassen wir die noch mal zusammen. Wahnvorstellungen, man hört Stimmen, oder man hat eine Meinung, die vollkommen irrwitzig ist und von anderen auch nicht übernommen werden kann, weil man sie nur selber hat. Das sind so die Symptome? Würden Sie die so zusammenfassen?
Prof. Dr. Zink: Ja, es gibt da – grob gesagt – zwei große Schubladen, zum einen zusätzliche Erlebensweisen. Wir bezeichnen die als Positivsymptome, ohne dass das jetzt eine Wertung sei. Es sind halt Dinge, die der Mensch, bevor er die Psychose hatte, nicht erlebt hat, wie zum Beispiel Wahnvorstellungen oder Halluzinationen. Und sogenannte Negativsymptome, also Dinge, die ich immer konnte, die mir jetzt aber in der Psychose sehr schwerfallen. Das ist eigentlich der wichtigere Bereich. Dazu zählt eine Veränderung in der Stimmung, überhaupt das Gefühl, dass Stimmung und Denken nicht mehr so gut zusammenpassen, eine Schwäche im Antrieb, ich komme morgens nicht mehr so aus dem Bett und in den Tag, ich ziehe mich sozial zurück. Ich kann mich schlechter konzentrieren, bin insgesamt weniger leistungsfä-hig. Also das kommt dann in die Schublade der sogenannten Negativsymptome. Das sind in der Regel auch die Dinge, die das soziale Umfeld einige Jahre schon beobachtet und benennen kann, bevor es dann zu diesen sehr eindrücklichen und prominen-ten Positivsymptomen wie Stimmenhören kommt. 


Ich selbst als Betroffene merke nun ja nicht immer, bin ich einfach nur ein sehr ängstlicher Mensch oder leide ich bereits an einer Psychose? Das ist dann eher die Aufgabe meines Umfeldes, meiner Familie, Sie haben es gerade gesagt. Wann sollten die reagieren?
Prof. Dr. Zink: Vielleicht kann ich da grundsätzlich sagen, dass die moderne Psychiatrie das Subjekt wirklich ganz ins Zentrum stellt und die Frage stellt, komm ich mit meinem Leben, mit meiner sozialen Rolle, mit meiner beruflichen Rolle gut zurecht, oder habe ich eine sogenannte Störung, also komme ich mit dem, was ich mir unter meinem selbstbestimmten Leben vorstelle, nicht so gut zurecht. Und immer dann, wenn diese Störung im weitesten Sinn auftritt, ich möchte eigentlich studieren, aber ich schaffe es nicht mehr, im Studium zurechtzukommen, ich möchte eigentlich mit meinen Menschen gut zusammenleben, aber jetzt habe ich plötzlich Angst, dass alle Nachbarn mich bedrohen oder verfolgen. Also immer dann, wenn so eine Störung da ist, ist es angeraten, Fragen zu stellen, an eine Beratungsstelle, an den Krisendienst Mittelfranken, an den vertrauten Hausarzt, an die vertrauten Menschen in der Lebensumgebung. Und sehr gerne natürlich auch ans psychiatrische Hilfesystem, an jede Klinik. Und das soziale Umfeld sollte nach ähnlichen Kriterien vorgehen. Wir kennen dann die Menschen, mit denen wir leben, sehr gut, über Jahre. Wir kennen ihr Lachen, wir kennen ihre Emotionalität, wir kennen ihre Leistungsfähigkeit. Wann immer sich da relevant etwas verändert, sollte man das nicht so hinnehmen, sondern Fragen stellen, was liegt da vor. Und in der psychiatrischen Diagnostik oder Anamnese kommt dann vielleicht heraus, dass ein junger Mensch jetzt Drogen nimmt, die er nicht verträgt, oder dass eine Depression sich entwickelt, oder dass eine Persönlichkeitsstörung vorliegt, oder aber dass eine Psychose sich anzeigt. 


Nun kommt also ein Betroffener zu Ihnen ans Bezirksklinikum Ansbach. Wie behandeln Sie eine Psychose? Muss ich unbedingt stationär aufgenommen werden bei Ihnen oder kann das auch ambulant erfolgen?
Prof. Dr. Zink: Die Psychose-Früherkennung ist a priori ein ambulantes Angebot. Je früher Menschen sich die Frage stellen, geht es mir gut oder habe ich ein Problem, und Hilfe in Anspruch nehmen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man durch ambulante Therapie hier gut behandeln kann. Große Krankenhäuser wie Ansbach, die mehr oder weniger gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind, eine große Fläche versorgen, behandeln sehr viele Menschen stationär, die man auch ambulant behandeln könnte, wenn eine möglichst gute tagesklinische oder stationsäquivalente Behandlung verfügbar wäre. Wir bieten immer eine kombinierte Behandlung an. Dazu zählt zentral die Psychotherapie, die Psychopharmakotherapie, sozial-pädagogische Hilfen. Die Gesundheits- und Krankenpflege ist sehr gut in der Lage, die Alltagskompetenzen zu stärken, ebenso wie es dann Spezialtherapien wie Sporttherapie, Ergotherapie, Kunsttherapie, Musiktherapie unterstützen. Also eine Psychose, die das gesamte Erleben und den gesamten Erlebensvollzug eines Menschen beinträchtigt, braucht auch die gesamte Bandbreite an Hilfsmöglichkeiten, die die moderne Psychiatrie anbieten kann. Gerne bevorzugt ambulant oder tagesklinisch, gerne auch stationär. Viele Patientinnen und Patienten bevorzugen auch eine stationäre Therapie. Da muss man wirklich im Einzelfall immer entscheiden. 


Nun war es ja vor ein paar Jahren noch ein bisschen leichter, einen Platz zu bekommen. Wie lang ist Ihre Warteliste?
Prof. Dr. Zink: Also, Menschen, die sich mit schweren Erkrankungen an uns wenden, können wir in der Regel sofort aufnehmen oder mit wenigen Tagen Wartezeit. Spezielle Angebote, wie zum Beispiel eine intensive Behandlung in unserer Psychiatrischen Institutsambulanz, sind sicher mit einer Warteliste verbunden. Auch in unserem modernsten Angebot, der sogenannten stationsäquivalenten Behandlung, haben wir eine Warteliste. Bei diesem Angebot drehen wir den Spieß sozusagen um. Nicht der Patient kommt ins Krankenhaus und legt sich dort ins Bett, sondern alle Mitarbeitenden des Krankenhauses fahren zum Patienten nach Hause und bieten die komplett gleiche Intensität an Therapie, aber im gewohnten sozialen Umfeld, für den Patienten zu Hause an. Das allerdings bieten wir nur in einem Umkreis von etwa 20 Kilometern um Ansbach herum an, weil sonst der Fahraufwand und die Zeit, die die Mitarbeitenden auf der Straße verbringen, zu stark belasten würde. 

 

Wie lange dauert denn so im Durchschnitt eine stationäre Behandlung?
Prof. Dr. Zink: Zwischen 20 und 25 Tagen. Damit ist es in der Regel möglich, die größten Beschwerden, die durch eine Psychose entstehen, gut zu behandeln. Aller-dings raten wir immer zu einer Weiterbehandlung, idealerweise psychotherapeutisch, psychopharmakologisch, bei einem niedergelassenen Psychiater oder Nervenarzt. Wir raten auch immer zu Selbsthilfegruppen, zu trialogischer Arbeit mit Angehörigen und Betroffenen zusammen. 


Nehmen wir an, eine seelische Erkrankung wurde behandelt, der Mensch fühlt sich gesund und wohl, kann eine Psychose wiederkommen oder vielleicht auch in anderer Form neu auftreten?
Prof. Dr. Zink: Ja, wie ich es vorhin erwähnt habe, ist der wesentliche Risikofaktor für die Frage, bekomme ich eine Psychose in meinen Leben oder nicht, die Disposition, die Anlage. Das ist etwas, was die biologische Psychiatrie in den letzten Jahrzehnten immer besser verstanden hat. Wir Menschen unterscheiden uns in unseren Fähigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften und auch in den Anlagen oder in den Risiken für Erkrankungen. Und das Risiko für eine Psychose wird sehr wesentlich durch die frühe Hirnentwicklung, und da ganz wesentlich durch die genetische Disposition bestimmt. Wenn also jemand eine solche Disposition hat, dann hat er auch zeitlebens ein erhöhtes Risiko, wieder eine Psychose zu bekommen. Das heißt im Umkehrschluss, dass diese Menschen idealerweise lernen sollten, Dinge, die sie gesund halten, sogenannte Resilienzfaktoren, Dinge, die mich stark machen, die mir helfen, sozusagen im grünen Bereich zu bleiben, zu verstärken, und in einer Psychotherapie auch zu lernen, was frühe Zeichen einer Psychose sind und wie man dort gut reagieren kann. Die Gefahr, wenn man einmal eine Psychose hatte, dann später im Leben eine weitere zu bekommen, ist ganz klar erhöht und macht es nötig, in dem, was wir Psychoedukation nennen, sich also auf den Weg zu machen, Fachfrau oder Fachmann für die eigene Erkrankung zu werden, um sich eben von diesem Risiko zu befreien. 


Wir alle kennen ja wohl den Film „Shining“ nach einem Buch von Stephen King, dem Meister der psychotischen Erzählungen. Da wird es ziemlich eng für die Familie des Erkrankten. Der rennt da durch das leere Hotel und dreht durch. Kann das wirklich passieren, dass eine psychotische Episode nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für seine Umgebung gefährlich wird?
Prof. Dr. Zink: Die Psychose ist vor allem für die Betroffenen gefährlich. Wir wissen leider, dass die Suizidrate, gerade junger Menschen, die das erste Mal an einer Psychose erkranken, ganz markant erhöht ist. Und das macht das so dringend, diesen Menschen Hilfe anzubieten. Psychose ist eine gefährliche Erkrankung, aber vor allem für die Betroffenen selbst, über Suizidalität. Aber selbstverständlich kann es auch, durch psychotisches Denken geleitet, zu Fremdaggressivität kommen, bis hin zu Tötungstaten. Auch dafür ist das Risiko erhöht. Und wir verstehen eigentlich heutzutage einige Faktoren sehr gut, die dazu disponieren. Das ist sicher eher ein Problem für junge Männer, die auch Kontakt zu illegalen Substanzen haben, die sich mit einem unbehandelten Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn herumschlagen und noch ein paar andere Eigenschaften spielen eine Rolle. Also diese Subgruppe der Psychose-Patienten hat zweifellos ein erhöhtes Risiko, auch für die Umgebung gefährlich zu werden. Die Psychiatrie hat deswegen auch den Bereich der forensischen Psychiatrie, der präventiv-forensischen Angebote etabliert, um zu verhindern, dass Menschen mit einer Psychose solche fremdaggressiven Straftaten begehen. 


Wenn Sie aus Ihrem Klinikalltag erzählen, sind eher Frauen betroffen, eher Männer, Ältere, Sie haben es gerade gesagt, junge Männer? Ist das eher so der Fall bei jüngeren Männern? Haben Sie von denen am meisten als Patienten?
Prof. Dr. Zink: Der Bezug zu den jungen Männern mit Kontakt zu illegalen Substanzen und unbehandeltem Wahn war jetzt gemünzt auf die Gefahr von Fremdaggressivität. Das Risiko, eine Psychose zu entwickeln, scheint über alle Kulturen und über alle Zeitalter der Menschheitsgeschichte weitgehend konstant zu sein. In allen alten Kulturen und allen alten Texten finden wir Beschreibungen über psychotische Phänomene, wie wir sie auch heute sehen. Also beide Geschlechter, vor allem jüngere Lebensalter, aber alle sozialen Schichten, alle Länder, alle Kulturen sind davon be-troffen. Es handelt sich um eine Erkrankung des Gehirns, die nicht so wesentlich abhängig ist, ob man in einem muslimischen oder in einem christlichen, in einem spätantiken oder einem postmodernen großstädtischen sozialen Umfeld aufwächst. 


Also jeder kann davon betroffen sein. 
Prof. Dr. Zink: Ja, ganz genau.


Fassen wir noch mal zusammen, wo kann man sich Hilfe holen, sowohl die Betroffenen als auch die Angehörigen? Ich denke mal, erster Anlaufpunkt ist der Hausarzt. Oder?
Prof. Dr. Zink: Viele andere europäische Länder haben ein sehr gutes Hausarztmodell, haben einen Hausarzt, den General Practitioner, etabliert, als jemanden, bei dem wirklich alle Versorgungslinien zusammenlaufen. Das ist in Deutschland ganz sicher nicht der Fall. Aber wenn Menschen einen vertrauten Hausarzt im Sinne eines Familienarztes haben, der vielleicht auch schon die Impfungen als Kind gemacht hat, dann ist das natürlich hervorragend, sich an diese Person zu wenden. Ich habe in meiner früheren Arbeitsstelle am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim die Früherkennung und Frühintervention für Psychose ganz wesentlich geleitet. Und dort hatten wir häufig Kontakt mit Lehrerinnen und Lehrern, mit Ausbildern, mit Leuten aus dem Sportverein, mit der Familie, also Menschen der vertrauten Leben-sumgebung, die es dann ermöglicht haben, dass ein junger Mensch seine Angst überwindet und ein psychiatrisches Krankenhaus mal betritt und die Frage stellt: „Was ist mir los, können Sie mir erklären, was ich habe?“ Man kann sich an niedergelassene FachpsychotherapeutInnen, an FachärztInnen für Psychiatrie und Psychothe-rapie wenden. Man kann sich hier in Nürnberg ganz hervorragend an den Krisendienst Mittelfranken wenden. Man kann sich an die verschiedenen psychiatrischen Kliniken wenden. Es sollte eigentlich für jeden Menschen zu jeder Zeit möglich sein, Hilfe zu finden. 

 

Nun ist es ja so, wenn sich einer das Bein bricht, dann sieht man das, dann humpelt er, und er hat Schmerzen, und er bekommt Mitgefühl. Wenn aber die Seele erkrankt, dann kriegen das die anderen gar nicht so mit. Und meist reden die Betroffenen auch gar nicht gerne drüber, obwohl immer mehr Menschen von Ängsten und eben auch Psychosen betroffen sind. Niemand hört so was gerne. Manchmal fallen auch Sätze wie „Reiß dich halt einfach zusammen! Anderen geht es viel schlechter. Nimm Tabletten!“ Warum wird das Krankheitsbild Psychose immer noch so weggedrängt?
Prof. Dr. Zink: Alles, was uns Angst macht, gibt uns das Gefühl, dass wir die Kontrolle verlieren. Und das ist ein sehr unangenehmes Gefühl. Wenn Menschen dann einfach denken, in einem Eins-null-Kategorisieren oder in einem Schwarz-weiß-Denken, dann ist eben die naheliegende Lösung die Ausgrenzung. Das sehen wir auch im politischen Kontext. Wenn 2015 unsere Bevölkerung Angst entwickelt, dass Migration bestimmte etablierte Strukturen unserer Gesellschaft infrage stellen, dann ist der primäre Reflex, dass man politisch zur Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit tendiert. Ein bisschen ähnlich erlebe ich das oft auch mit psychischen Erkrankungen. Die Bevölkerung hat Angst vor den Phänomen und grenzt dann die Personen aus, die mit dem Phänomen in Beziehung gesetzt werden. In der Politik ist es leider ein gängiges Schimpfwort für den politischen Gegner, ihn als schizophren zu bezeichnen. Wir leben da in einer sehr ungünstigen, durch stigmatisierenden Sprachgebrauch gekennzeichneten Unkultur. Und das geht alles auf Kosten derer, die die Hilfe brauchen, auch in dem Fall wieder auf Kosten schwacher Teile unserer Gesellschaft. Und das ist sicher sehr zu bedauern. Das sind sicher auch keine neuen Einsichten. Die Psychiatrie hat im Zuge der Stigmatisierungsproblematik oder der Entstigmatisierung der Erkrankungen und der Therapien sehr viel versucht. Allerdings wird in den Medien sehr häufig so ungünstig berichtet, gerade auch über das Schlagwort Fremdaggressivität, Täter in die Psychiatrie, dass sehr viel von unser antistigmatisierenden Arbeit vernichtet wird. Und allein so ein Tatort wie „Psycholyse“ vom Hessischen Rundfunk wirft uns wieder weit zurück, weil da dumme, völlig unaufgeklärte Narrative und Klischees bedient werden, die einfach falsch sind. 

 

Was müsste sich ändern?
Prof. Dr. Zink: Ja, ich glaube, der Ansatzpunkt ist die Angst, die verständlicherweise in der Bevölkerung vorhanden ist. Wenn wir durch eine Straße laufen und ein offensichtlich psychotischer Mensch spricht mit jemandem, der nicht da ist und hat vielleicht auch eine aufgeregte und drängende, vielleicht auch aggressive Stimme, dann macht das Angst. Die wesentliche Hausaufgabe richtet sich an ein besseres Verständnis und eine bessere Therapie der Psychose. Das ist im Wesentlichen eine Aufgabe an die neurobiologische Forschung und an die Psychotherapie-Forschung. Aus diesen Anstrengungen werden wir immer besser werden in der Behandlung. Dann wird Psychose immer mehr verbunden werden mit dem Gedanken, das ist eine Erkrankung wie jede andere auch, die kann man behandeln, und die muss uns nicht so sehr Angst machen. 


Danke für diese spannenden Einblicke in die Seele an Prof. Dr. Matthias Zink, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Bezirksklinikum Ansbach.
Prof. Dr. Zink: Herzlichen Dank für das Interview und das Interesse.