von Eva-Maria Wenk, Diplom-Psychologin, Frankenalb-Klinik Engelthal
Wer kennt es nicht?! Die Steuererklärung liegt seit Wochen auf dem Schreibtisch und sollte erledigt werden, und eigentlich müssten die Fenster auch wieder geputzt werden; zudem steht der Routinebesuch beim Zahnarzt an. Die Pflicht ist uns allen bewusst, dennoch neigen wir immer wieder dazu Aufgaben, die unangenehm sind und uns wenig Spaß sowie Freude bereiten, vor uns herzuschieben. Wir gehen beispielsweise lieber shoppen, schauen fern oder ziehen sogar das Putzen der Steuererklärung vor.
In dieser bzw. in ähnlicher Form wird jeder von Ihnen das Phänomen „Aufschieberitis“, das in Fachkreisen als Prokrastination bezeichnet wird, von sich kennen. Nicht jede Aufgabe, die auf unserer „To-do-Liste“ steht, wird auch umgehend erledigt. Häufig wandern Tätigkeiten, die uns besonders unangenehm sind oder unattraktiv erscheinen, von einer Liste auf die nächste; wir prokrastinieren, d. h. wir schieben sie auf.
Ursprung und Bedeutung
Das Wort Prokrastination hat seinen Ursprung im Lateinischen „procrastinare – vertagen“, was sich aus „pro – für“ und „cras – morgen“ zusammensetzt. In der ursprünglichen Bedeutung ist der Begriff frei von Wertung, d. h. er umfasst sowohl positive als auch negative Formen des Aufschiebens. Erst mit der Industrialisierung, als Leistung stärker in den Fokus rückte, hat das Aufschieben von anstehenden Aufgaben seine negative Bewertung erhalten, die bis heute Bestand hat.
Warum schieben wir Aufgaben vor uns her?
Ihnen bzw. uns allen ist klar, dass sich unsere Pflichten nicht von alleine erledigen, sondern dass wir durch das Vertagen unter Zeitdruck geraten können. So haben sicher einige von Ihnen die eine oder andere Nachtschicht eingelegt, um die Steuererklärung rechtzeitig abgeben zu können oder den Termin beim Zahnarzt erst bei Zahnschmerzen vereinbart. Warum genau also schieben wir diese Pflichten vor uns her und stellen uns damit selbst ein Bein? Eine Theorie von Hugo Kehr besagt, dass für Aufgaben, die erledigt werden müssen, auch wenn sie uns keinen Spaß machen, Willenskraft bzw. Disziplin aufgebracht werden muss. Das heißt, wir müssen uns zur Bearbeitung zwingen. Das Problem der Willenskraft ist allerdings, dass diese erschöpft werden kann durch zu viele Aufgaben, die zur Erledigung Disziplin erfordern. Das bedeutet – um noch einmal auf die Steuererklärung zurückzukommen, wenn Sie tagsüber viele Tätigkeiten ausführen, die Ihre Willenskraft erschöpfen, ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Steuererklärung zugunsten eines entspannten Filmabends liegen bleibt.
Was kann ich dagegen tun?
Um erfolgreich mit Ihrer Disziplin umzugehen, ist achtsames Haushalten mit der eigenen Kraft die Lösung. Für die praktische Umsetzung bedeutet das, dass Sie versuchen sollten, immer wieder bewusst Dinge zu machen, die Ihnen Spaß und Freude bereiten. So könnten Sie sich beispielsweise bewusst Belohnungen bzw. attraktive Anreize für die Erledigung einer Aufgabe setzen. Auch kann es helfen, umfangreiche Pflichten in kleinere Teile zu zerlegen, welche nach erfolgter Bearbeitung eine positive Konsequenz nach sich ziehen. Zum Beispiel könnten Sie sich nach einer Stunde Arbeit an der Steuererklärung eine Kaffeepause mit einem leckeren Stück Lieblingskuchen als Belohnung gönnen. Ein Wundermittel gegen Aufschieberitis gibt es nicht; aber vielleicht beruhigt es Sie zu wissen, dass jeder immer wieder damit in seinem Leben zu kämpfen hat. Es gehört einfach zum Leben, dass der „innere Schweinehund“ hin und wieder siegt.
Deshalb: Seien Sie achtsam gegenüber Ihren Kräften und versuchen Sie, die unangenehmen Aufgaben so angenehm wie möglich zu gestalten. Seien Sie ruhig kreativ dabei!